Ulvs Düne auf Amrum (Text aus "Marschen und Inseln", 1846)

Die Namen , welche sowohl die Sandbänke als die einzelnen hohen Dünen erhalten, hängen zuweilen mit den Namen auf der Insel berühmt gewordener Personen zusammen. So heißt eine der drei die Insel umzäunenden Bänke: Jung-Namen-Sand, weil hier einst ein gewisser Jung-Namen, vielleicht ein Amrumer Seeheld, gestrandet und umgekommen sein soll. Eine andere Bank nennt man: Kniep´s Sand; eine der höchsten Dünen heißt "Ulv´s Düne" und es wurde uns dabei folgende Geschichte erzählt. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wohnte auf Amrum ein alter Schiffer, namens Ulv, dessen einziger hoffnungsvoller Sohn in die Sklaverei der tunesischen Seeräuber gefallen war. Der Vater hatte ihn nur ungern in die Gewässer des Mittelmeeres entlassen. Als nun die Zeit herankam, wo sein Sohn von der Fahrt zurückkehren sollte, begab er sich auf die hohe Düne, die jetzt von ihm ihren Namen trägt, und blickte von da weit auf das Meer hinaus, um das Schiff seines Sohnes zu erspähen. So war er täglich den ganzen Herbst hindurch auf die Düne gestiegen und hatte von dort vergebens seine Blicke ausgesandt. Endlich lief eine Nachricht von dem Schiffe ein, die das geängstete Vaterherz auf´s tiefste verwunden mußte. Es sei dasselbe an der tunesischen Küste von Seeräubern genommen un die ganze Mannschaft in die Sklaverei entführt worden. Diese Nachricht streckte den Alten auf´s Krankenlager. Nachdem er aber etwas genesen, fing er an, eifrieger als bisher zu arbeiten, bestellte seine Schafe und Kühe pünktlich, handelte beim Verkauf seiner Wolle bis auf den letzten Pfennig, hielt jede Kleinigkeit zu Rate, und fand er am Strande ein Stückchen Holz, so bestimmte er es zu Hause nicht für den Ofen, sondern verkaufte es, um bares Geld zu gewinnen. Auch zeigte er sich bei Strandungsfällen energischer und habgieriger als alle übrigen und riß dabei an sich, was er ergreifen konnte. Auf alle gegen ihn in dieser Beziehung gerichtete Bemerkungen antwortete er: "Ich brauche es für meinen sohn". Es war nämlich der Plan in ihm zur Reife gekommen, er wolle ein Kapital zusammenbringen, um seinen Sohn damit aus der Sklaverei zu erlösen. Solche Fälle kommen oder kamen bei diesen Schiffervölkern nicht ganz selten vor, und sie wissen schon, wie sie dabei zu verfahren haben; auch gibt es immer Consuln in der Nähe, die ihnen dabei durch Vermittlung der Regierung zu Hilfe gehen. Als der alte Ulv die nötige Summe zusammengebracht hatte, sandte er sie auf dem geeigneten Wege nach Afrika, und nun setzte er sich wieder auf seine Düne, dem ankerplatz seiner Hoffnung, hin und blickte voll Sehnsucht auf das Meer hinaus, um zu erspähen, ob es ihm nicht für Silber und Gold seinen geliebten Sohn zurückbrächte. Die Sache kam indes in richtigkeit, der junge "Ulvsohn" wurde ausgelöst, - und der Befreite segelte eines Tages der nicht mehr fernen Küsten zu. die Freude des Alten bei der Annäherung des so heißersehnten schiffes und bei dem Gedanken das Ziel seiner Hoffnung baldigst in seine Arme schließen zu können, läßt sich wohl nicht denken, aber seine Verzweiflung kann man vielleicht ermessen, als er bemerken mußte, daß der an´s Land Gestiegene - nicht sein Sohn war. Es war noch ein anderer "Ulvsohn" von Amrum in die Sklaverei geraten, der, wie es bei den Friesen so häufig ist, ganz denselben Namen trug, und man hatte diesen Falschen ausgelöst. Der alte verfiel abermals in eine Krankheit, die ihn an den Rand des Grabes brachte und aus der er als ein sehr melancholischer un in der Welt vereinsamter Greis mir schneeweißem Haar hervorging. Niemand wußte ihm zu sagen, an wen er sich entweder wegen seínes verlorenen Sparschatzes zu wenden habe. Er fühlte nicht die Kraft mehr in sich, noch einmal ein solches Kapital zusammenzubringen. Der Ankerplatz seiner Hoffnung, der sandige und windige Dünengipfel, wurde nun zum Orte seiner Melancholie und Verzweiflung. Die Vorübergehenden sahen den alten Ulv oft auf seinem Hügel sitzen, auf dem der Wind mit seinen greisen Locken spielte, während seine Augen trauernd auf der weiten Meeresfläche schweiften. Sei es, daß er Vergnügen darin fand, die Blicke nach der Gegend zu senden, wo sein Sohn entschwunden, sei es, daß ihn doch noch eine kleine Hoffnung zuweilen belebte, daß sein Kind von daher zurückkehren müsse, - er suchte den Hügel immer wieder auf. Eines Tages kehrten Schiffer aus dem Mittelmeere zurück und verwandelten plötzlich die Hoffnung des Alten zu Gewißheit. Sie brachten ihm Nachrichten und Briefe von seinem sohne, worin dieser ihm mitteilte, er lebe nicht nur, sondern es gehe ihm auch recht wohl; er sei Sklave eines afrikanischen Fürsten und durch das Vertrauen, das dieser in ihn gesetzt, auch einer von dessen Offizieren und zuletzt sein General geworden; er sehne sich jedoch nach seiner Insel und seinem Vater zurück, und, sobald er könne, wolle er in seine Heimat zurückkehren. Hätten es des Alten Mittel erlaubt, gewiß würde er auf seiner Düne einen Tempel der Freude haben bauen lassen, um sie Wonnegefühle des süßen Wiedersehens in seinen jetzigen Umständen blieb ihm jedoch nichts weiter übrig, als wie bisher täglich auf dem Sande Platz zu nehmen und auf´s Meer hinauszuschauen. Es verstichen aber noch einige Jahre, und der Alte seufzte oft:"Kommt mein Sohn nicht bald, so wird er wohl nur auf meinen Grabe beten können." - Es kam jedoch ein wenig besser. Denn der afrikanische General kehrte eben noch zeitig genug in sein Vaterland zurück, um seinen alten schwachen Vater zu umarmen, ihm seine Liebe mit Zärtlichkeit zu erwidern und ihm, nachdem er den letzten Rest seiner Lebensfrist mit ihm in Gemächlichkeit verbracht, ein ehrenvolles Begräbnis zu geben. Ihn, den General, machte man nachher zum Strandvoigt auf der Insel Amrum, als welcher er hier noch lange wirkte.

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