DER MÜNSTERBAU UND DIE WOLFSTHÜRE

Wieder einmal war Krieg. Karl der Große wollte gegen die Sachsen kämpfen, um diese zum christlichen Glauben zu bekehren. Zu dieser Zeit war gerade der Bau des Aachener Münsters in vollem Gange, den der Kaiser ebenfalls befohlen hatte. Er hatte sich die besten Baumeister ausgesucht, ließ sich von überall her die schönsten und besten Bausteine kommen, auch die begabtesten Künstler aus aller Herren Länder reisten zur Ausschmückung seiner Kirche an. Natürlich überwachte der Kaiser die Arbeit höchstpersönlich. Doch der Krieg rief ihn plötzlich fort, der Kaiser musste zu den Soldaten. Da man aber zum Kirchenbau genauso wie zum Kriegführen viel Geld braucht, der dumme Krieg gegen die Sachsen leider auch noch sehr lange dauerte und der Kaiser wohl lieber bei den Soldaten war, musste der Münsterbau sehr vernachlässigt werden, weil das Geld immer weniger wurde. Die Bauleute und Künstler konnten nicht mehr bezahlt werden, und viele von ihnen gingen von Aachen fort. Der Stadtrat, dem der Weiterbau aufgetragen worden war, geriet so in arge Bedrängnis, und bei allen Sitzungen, die des lieben Geldes willen gehalten worden waren, kam nichts heraus. Die Not wurde immer größer, je länger der Krieg dauerte, der Bau stockte, die Stadiräte wurden immer verzweifelter, der eine oder andere sagte gar, notfalls müsse man sich halt vom Teufel selbst Geld ausborgen. Wie man so sagt: Der Teufel schläft nicht! Irgendwie musste er diesen Satz gehört haben. Eines Tages erschien bei einer Stadtratssitzung ein ganz vornehmer Herr und bot den verdutzten Räten eine Unmenge Geld an, um den Münsterbau zu vollenden und den Kaiser damit zufriedenzustellen. Der Vorsitzende des Rates fragte nun den Unbekannten, unter welchen Bedingungen er das Geld denn geben wolle. Der Vorsitzende des Rates fragte nun den Unbekannten, unter welchen Bedingungen er das Geld denn geben wolle. Der vornehme Mann aber wollte weder Zinsen, noch wollte er das Geld überhaupt zurück, sondern sagte einfach: ,,Wenn der Bau fertig ist, will ich die erste Seele, die durch das neue Tor tritt!" Die Stadträte erschraken fürchterlich. Jetzt wussten sie, mit wem sie's zu tun hatten. Der Teufel aber sagte lachend: ,,Ihr Feiglinge, zuerst habt ihr das Geld von mir gewollt, und jetzt verkriecht ihr euch! Aber gut, wenn ihr nicht wollt, ich brauche euch kein Geld zu geben, Seelen bekomme ich sowieso noch genug! Eigentlich bin ich sogar dumm, wenn ich mich auf diesen Handel einlasse, ich wollte euch nur zeigen, wie gutmütig ich sein kann...!" Mit dem Teufel wollten die Stadträte wirklich kein Geschäft machen. Andererseits brauchten sie das Geld so nötig, dass sie sich schließlich doch von dem teuflischen Plan bestechen ließen und mit Brief und Siegel die erste Seele dem Teufel versprachen, die durch das neue Münstertor gehen würde. Das wurde mit einem Vertrag also genau festgelegt. Eigentlich sollte diese ganze Geschichte geheim bleiben, aber irgendeiner hatte dann doch den Mund nicht halten können, und wie das so ist, wenn einer tratscht, dann wissen es gleich alle. Natürlich wollte jetzt niemand mehr ins Gotteshaus gehen. Jeder hatte Angst, seine Seele an den Teufel zu verlieren, und alle machten einen weiten Bogen um den Dom, der jetzt unheimlich teuer, unheimlich schön und unheimlich schnell gebaut wurde, denn der Satan gab ja wirklich viel, viel Geld dafür aus. Und wieder einmal wussten die Ratsherren keinen Rat. Sie hatten ja einen Vertrag mit Brief und Siegel gemacht, den sie einhalten mussten, und gerade diejenigen, die anfangs am großspurigsten geredet hatten, bekamen die meiste Angst und hatten schlaflose Nächte. Sie selbst wollten natürlich auch nicht als erste durch das Tor gehen und ihre Seele dem Teufel schenken. Da kam eines Tages ein schlauer Mönch auf eine tolle Idee. ,,Ihr habt dem Teufel zwar eine Seele versprochen, aber wer sagt denn, dass das eine Menschenseele sein muss ?" Die Ratsherren atmeten erleichtert auf. Jetzt war ein Plan schnell gemacht. Da es damals in Aachens Umgebung viele Wölfe gab, beschlossen sie, einen Wolf zu fangen und ihn durch das neue Tor in den Dom hineinzujagen. Das große Münster wurde fertig und wunderschön. Ganz zuletzt baute der Teufel eigenhändig die bronzene Tür ein, setzte sich sogleich dahinter und wartete auf die erste Seele, die da kommen würde. Nun wurde aber der Wolf in das Münster gejagt. Blitzschnell fiel der Teufel über das arme Tier her und riss ihm die Seele aus der Brust. Als er aber den Betrug bemerkte, dass er nämlich keine Menschenseele bekommen hatte, donnerte er wütend mit Heulen und Zähneknirschen aus dem Münster. Die Tür schlug er mit solcher Wucht zu, dass ein großer Riss zurückblieb. Zu allem Unglück steckte er den Daumen dabei so tief in den Türknauf, dass er ihn sich ausrenkte und abriss. Bis heute kann man ihn - ganz starr geworden - dort füihlen. Viele haben schon versucht, diesen Teufelsdaumen herauszuziehen, aber keinem ist es bis jetzt gelungen. Sogar ein goldenes Kleid wurde schon als Belohnung ausgesetzt für denjenigen, dem es gelingt, den Daumen herauszuziehen. Zum Andenken aber an diese Geschichte hat man im Münster zwei Standbilder aufgestellt. Einen Wolf mit einem Loch in der Brust und einen Pinienzapfen, der das Sinnbild für die Seele des Wolfes sein soll. Das Tor aber heißt bis heute noch die ,,Wolfsthüre". Hoffentlich bleibt uns das Aachener Münster noch lange und so schön erhalten, und hoffentlich wird für Kriege nie mehr Geld verschwendet.

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