Herstellung und Ausstattung einer Mumie

Am Beispiel einer "Idealmumie" läßt sich die Einbalsamierung eines vornehmen Ägypters, wie sie vor etwa zweieinhalb- bis dreitausend Jahren praktiziert wurde, vereinfacht nachvollziehen. Vom Sterbehaus wurde der oder die Verstorbene zu der abseits an einem Wasserlauf gelegenen Balsamierungshalle überführt und den Totenpriestern übergeben. Im Regelfall dauerte die gesamte Prozedur 70 Tage.
Der Leichnam wurde zunächst in der Balsamierungswerkstatt mit Natronwasser gewaschen. Anschließend kam er auf einen bahrenähnlichen Tisch aus Stein oder Holz. Hier wurde mit einem langen Haken das Gehirn durch die Nase oder vom Hinterkopf aus entfernt und - in Unkenntnis seiner Bedeutung - beseitigt. Dann schnitt einer der Balsamierungspriester mit einem scharfen Steinmesser den Bauchraum an der linken Unterseite auf, worauf man alle inneren Organe bis auf das Herz als das Lebenszentrum und die von vorn nur schwer erreichbaren Nieren herausnahm. Jetzt wurde der Körper mit Palmwein und duftenden Essenzen ausgewaschen und für etwa 40 Tage mit trockenem Natron, zuweilen unter Beimengung von Salz, überhäuft. Damit entzog man dem Leichnam die Feuchtigkeit und verhinderte so den natürlichen Fäulnis- und Verwesungsprozeß.
Erst nach dieser sorgfältigen Trocknungsphase konnte die eigentliche Balsamierung beginnen. Dabei wurde der Schädel mit flüssigen Harzen oder harzgetränkten Leinenstreifen teilweise gefüllt. Der Brust- und Bauchraum wurde mit Leinenpäckchen, Natronbeuteln, oft auch mit Sägespänen ausgepolstert, um ein Zusammenfallen zu verhindern und dem Körper so das natürliche Volumen zu erhalten. Hinzu kamen manchmal große Mengen an Spezereien wie Myrrhe, Weihrauch, Öle, Harze, Fette und Bienenwachs, denen man außer ihrem Wohlgeruch auch eine konservierende Wirkung zuschrieb.
Die nach der Herausnahme gesondert präparierten Eingeweide und inneren Organe setzte man entweder in vier Krügen, den sogenannten "Kanopen", separat bei oder legte sie als in Leinen gehüllte kompakte Organpäckchen in den Körper zurück. Solche Kanopen sind Gefäße aus Stein oder Ton, deren Deckel zu dieser Zeit als die Köpfe von vier Schutzgöttern der Eingeweide gestaltet wurden. Diese vier Horus-Söhne haben die Aufgabe, den Toten vor Hunger und Durst zu bewahren.
Bei Phase I unserer Idealmumie erkennt man den mit Bindenpäckchen ausgestopften Leichnam und links ein Wachsfigürchen eines der vier Horus-Söhne. Rechts davon wurde ein großes Amulett aus Stein plaziert, das die Form eines Skarabäus, des heiligen Mistkäfers der Ägypter, aufweist. Solche Herzskarabäen bekam der Tote zu seinem eigenen Herzen in den Brustkorb gelegt. Auf der Unterseite steht meist eine Beschwörungsformel an das Herz, während der kritischen Phase des Totengerichts nicht gegen seinen Besitzer auszusagen. Ein Doppelfingeramulett aus Obsidian fand man bei Mumien häufig in der Nähe des Bauchschnitts; es soll vielleicht auf die für den Toten so bedeutsamen Handlungen der Totenpriester anspielen.
Schließlich wurde der Bauchraum zugenäht und die Schnittwunde mit einem "heilenden" Amulettplättchen aus Wachs oder Gold mit dem Udjat-Auge als einem wichtigen ägyptischen Symbol für Unversehrtheit abgedeckt. Die unvermeidliche Verletzung der körperlichen Integrität durch die Balsamierungspriester galt somit auf magische Weise als wieder "geheilt". Wichtige Körperteile schützte man zuweilen mit entsprechend geformten Goldauflagen; im Mundbereich fanden sich vereinzelt goldene Zungenplättchen. Bei kostbar ausgestatteten königlichen Mumien wurden empfindliche Partien wie Finger und Zehen durch Goldhülsen gesondert geschützt.
Der so präparierte Leichnam wurde nun mit salbengetränkten Leinenstreifen sorgfältigst eingewickelt, manchmal mit einigen hundert Metern Stoff. Bei aufwendig hergestellten Mumien wurde nämlich zuerst jedes einzelne Glied, dann die Extremitäten und schließlich der gesamte Rumpf in mehreren Lagen bandagiert. Zum Abschluß konnten auch noch großformatige Leichentücher zur Umhüllung verwendet werden. Während dieses Vorgangs wurden zahlreiche Amulette aus Fayence, Halbedelsteinen und anderen kostbaren Materialien beigefügt, die entweder lose mit eingewickelt oder auf den Mumienbinden festgenäht wurden (Phase II). Nach diesem wesentlichen Abschnitt der Einwicklung in Binden bezeichneten die Ägypter ihre so behandelten Verstorbenen als "Eingehüllte" im Sinne von "ehrwürdige Tote".
Da eine Konservierungsmöglichkeit für die Augen unbekannt war, wurden die hauteng umwickelten Köpfe manchmal möglichst naturgetreu bemalt und sogar mit künstlichen Augen aus verschiedenen farbigen Materialien versehen.
Seit der Spätzeit findet sich über der fertig gewickelten Mumie häufig ein Perlennetz aus grünen oder türkisfarbenen Fayenceperlchen (Phase III). Der Sinn dieser Netze mag in einem magischen Zusammenhalt und Schutz aller Körperteile zu suchen sein. Zu derartigen Perlennetzen, oft unmittelbar darauf befestigt oder aus bunten Fayenceperlchen direkt mit eingearbeitet, gehören ein geflügelter Skarabäus als Symbol des Sonnenlaufs und damit der alltäglichen Wiedergeburt und ein Satz der vier Horus-Söhne als Schutzgottheiten.
Etwa um das Jahr 1000 v. Chr. wurde es üblich, die eingewickelten Mumien zum Abschluß in eine vollständige mumienförmige Hülle aus bemalter Kartonage oder Leinwand zu stecken, die anschließend auf der mit einem Schlitz versehenen Rückseite verschnürt wurde. Später ging man dazu über, statt einer solch aufwendigen Mumienhülle nur noch einzeln gefertigte Teile zu verwenden (Phase IV). Dazu gehören vor allem Kopfmasken mit Perücke und Halskragen und ein kompaktes Fußteil, der sogenannte "Mumienschuh". Daneben kommen aber auch lose, an der Unterseite der Fußpartie befestigte Sandalen aus Kartonage vor.
Einzelne Bildmotive wie Halskragen und Götterdarstellungen wie vor allem die der Himmelsgöttin Nut, die ihre geflügelten Arme schützend über den Leib des Verstorbenen breitet, konnten lose auf die Mumienbinden aufgelegt werden. In einem Gebet an die Göttin heißt es: "O meine Mutter Nut, breite deine Schwingen aus über mir und versetze mich unter die unvergänglichen Sterne!"
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Quelle: Dr. Beatrix Geßler-Löhr, http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes1/GesslerLoehr/text1.html

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