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TODESFUGE
Schwarze Milch der Frühe
Ein Mann wohnt im Haus
Schwarze Milch der Frühe
Ein Mann wohnt im Haus
Dein aschenes Haar Sulamith
Er ruft
Schwarze Milch der Frühe
ein Mann wohnt im Haus
Schwarze Milch der Frühe Paul
Celan
Paul Antschel (so der Familienname) wuchs in einer deutschsprachig-jüdischen Familie auf und zeigte früh große sprachliche Begabung und dichterische Interessen. 1938 begann er in Frankreich ein Medizinstudium, kam dort mit der surrealistischen Poesie in Kontakt, kehrte aber nach Czernowitz zurück, um Romanistik zu studieren. 1941 wurde die Stadt von deutschen und rumänischen Truppen besetzt, die ein jüdisches Ghetto einrichteten; die Eltern wurden 1942 deportiert und starben noch im selben Jahr. Celan selbst war bis 1944 in einem Arbeitslager, konnte dann aber sein Studium wieder aufnehmen und arbeitete in Bukarest als Lektor und Übersetzer. Nach einer Zwischenstation in Wien, wo es zu einer lang nachwirkenden Begegnung mit Ingeborg Bachmann kam, ging Celan nach Paris, wo er von 1959 an als Lektor für deutsche Sprache arbeitete. Neben seinem eigenen lyrischen Werk entstanden in dieser Zeit auch bedeutende Übersetzungen, z.B. von russischer Poesie. Celans Lyrik kann formal als kontinuierliche Ablösung von neuromantisch-symbolistischen (Rilke) und surrealistischen Prägungen und als Suche nach einer ganz eigenständigen poetischen Sprache beschrieben werden, die durch radikale Reduktion (etwa im Syntaktischen) und bewußte Verletzung sprachlicher Konventionen eine ungeahnte semantische Vielschichtigkeit erreicht und den Leser/inn/en vielfältige Konnotationen anbietet. Dieser Prozeß kann durch insgesamt neun vom Autor selbst publizierte (oder zumindest noch zusammengestellte) Gedichtbände, von Der Sand aus den Urnen (1948) bis Schneepart (1971) verfolgt werden. Dabei ist besonders den späteren Texten der Vorwurf der Unverständlichkeit, dezenter: der Hermetik, nicht erspart geblieben; dagegen steht aber Celans energisches Beharren auf der appellativen, ja dialogischen Intention und Qualität seiner Dichtung - ausgeführt etwa in den poetologisch bedeutsamen Reden zum Bremer Literaturpreis (1958) und - unter dem Titel Der Meridian - zur Auszeichnung mit dem Georg-Büchner-Preis (1960).
Inhaltlich ist es das Trauma von Verfolgung und Verlust, die leidvolle
Erfahrung der Nazi-Opfer, die sich durch alle so sorgsam komponierten
Gedichtbände zieht. Auch davon spricht die Meridian-Rede recht
ausdrücklich in der Chiffre vom "20. Jänner". Eine
zugleich bestürzende und faszinierende, ja in gewisser Weise 'eingängige'
Fassung erhielt diese Thematik in dem frühen Gedicht Todesfuge
- man darf wohl annehmen, daß deren 'Erfolgsgeschichte' in deutschen
Lesebüchern und Bundestagsfeierstunden Celan in der Absicht bestärkte,
seine Texte widerständiger und spröder zu machen - was ihre
Faszination keineswegs beeinträchtigen sollte. Die Frage des Philosophen
Theodor W. Adorno, ob Lyrik nach Auschwitz noch legitim sein könne,
hat Celan durch seine Gedichte nach (und über) Auschwitz faktisch
beantwortet. Problematisch war und blieb, trotz früher Auszeichnungen, Celans Verhältnis zur (bundes-)deutschen Öffentlichkeit. Unter den Kriegsheimkehrern in der frühen "Gruppe 47" stieß der jüdische Exhäftling und Exilant auf Unverständnis und Ablehnung. Später schärfte ein bösartiger und völlig unbegründeter Plagiatsvorwurf, den die Dichterwitwe Claire Goll inszenierte, für weitere Verletzungen und das Gefühl, antisemitischem Ressentiment ausgesetzt zu sein. Man darf vermuten, daß dies alles Celans depressive Disposition verstärkt und zu seinem mutmaßlichen Freitod in der Seine beigetragen hat. - Drei Jahrzehnte später wird Paul Celan unbestritten zu den größten deutschsprachigen Lyrikern des katastrophischen 20. Jahrhunderts gerechnet. Quelle: J. Vogt: Treffpunkt im Unendlichen? Über Peter Weiss und Paul Celan, in: Peter Weiss-Jahrbuch 4 , Opladen 1995 |
GEDICHTE Deutsche Klassiker
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